

GLOSSE
VERRUCKTE ALTE?
Braucht jemand einen Kavalier? Früher waren die Männer
noch echte Gentlemen. Man half der Dame in die Jacke,
zog ihren Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte – und
natürlich hatten echte Männer immer einen Handkuss
parat. Und heute? Kavaliere gibt es zwar noch, aber sie
sind in der Minderzahl.
Und der Seniorenkavalier? Typisch Mann, selbst im Alter
gibt er noch an. Haut ganz schön auf die Pauke, vielleicht
war er im Dschungel-Camp oder hat die Vorzüge reifer
Sexualität studiert. Muss er nicht damit rechnen, ausge-
lacht zu werden? Oder beginnt an der Bushaltestelle ein
Techtelmechtel zweier einsamer Herzen, sozusagen
„Romeo und Julia im Altenheim“?
Sie hat extra ihren Lippenstift nachgezogen, er trägt
Krawatte, beide wirken unternehmenslustig. Während
er vermutlich noch mit einem erotischen Spät-Abenteuer
rechnet, stellt sie sich schon darauf ein, ihn zu pflegen.
Kommen beide nur bis zum Beck um die Ecke oder bre-
chen sie auf mit unbekanntem Ziel?
Jedenfalls sollte man im Alter noch etwas wagen. Muss
nicht gleich eine Gipfelbesteigung sein oder ein Trip durch
die Wüste. Ein Blick über den Tellerrand hinaus, kann
manche Erkenntnis bringen. Vielleicht ein Ausflug in die
Vorstadt! Man muss nicht unbedingt der Meinung von
Schauspielerin Katharina Thalbach sein, die 2019 in Rente
geht und die über Rollstuhl und Rollator sagt: „Das sind
wunderbare Erfindungen. Alles natürlich mit Aschenbe-
cher und Bordbar. Schön wäre auch ein Gehstock mit
kleinem Messer darin zur Selbstverteidigung!“
Wie auch immer. Jedenfalls die alten Säcke von heute ver-
kriechen sich nicht mehr in einer stillen Ecke, sondern ris-
kieren noch was. Warum auch nicht? Das Risiko lohnt sich
schon deswegen, weil das Ende des Lebens ohnehin anders
kommt als man denkt. Für alle. Bis dahin gilt John Updikes
Satz und zwar für jedes Alter: „Es ist eine verrückte Sache,
am Leben zu sein.“
Horst Mayer
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