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„Pilgern verbindet“
Interview mit Pfarrer Paul Geißendörfer
S
ie haben den mittelfränkischen Camino von Nürnberg
bis Rothenburg über Heilsbronn Anfang der 1990er
Jahre zum Leben erweckt. Dafür sind Sie sogar mit der
Europamedaille ausgezeichnet worden. Wie sind Sie auf
die Idee gekommen?
Zum ersten Mal habe ich etwas vom Jakobsweg 1985
gehört: Auf einer Gemeindefahrt „Auf den Spuren der
Zisterzienser“ nach Burgund hat mich Angela Treiber
(jetzt Professorin für Europäische Ethnologie/Volkskunde
an der KU Eichstätt-Ingolstadt) darauf aufmerksam ge-
macht. Ich fand diese Thematik damals für mich gar nicht
so spannend. Mein Interesse ist ab 1990 gewachsen, als
wir die Ausstellung über die Zisterzienser in Heilsbronn
zum Abschluss gebracht haben. Diese Thematik hat eine
Rückbesinnung auf die Weiheheiligen des Münsters be-
wirkt, auf Maria und Jakobus.
Und wie ging es dann weiter?
Ich habe mich in die Fachliteratur eingelesen, habe mit
Experten gesprochen und schließlich die sechs Pfar-
rer der Jakobus-Pfarreien am Weg von Nürnberg nach
Rothenburg eingeladen. Alle, egal ob katholisch oder
evangelisch, waren von der Idee angetan. Wir wollten mit
unserem gemeindeübergreifenden und ökumenischen
Wanderpfad eine Pilgerschaft im Kleinen zum Leben er-
wecken.
Eine Idee, die dann schnell zu etwas Großem wurde: Die
Medien wurden auf den Jakobsweg aufmerksam. Ihr In-
foblatt „Der Jakobsweg. Einladung zur Pilgerschaft auf
einem „mittelfränkischen Camino“ zwischen Nürnberg
und Rothenburg über Heilsbronn“ ist mittlerweile in 10.
Auflage (135 000 Exemplare) erschienen.
Mit dieser Resonanz hatten wir nicht gerechnet. Es war
ja auch gar nicht unsere Absicht gewesen. Wir wollten
weder einen Wanderweg schaffen, noch eine Touristen-
attraktion. Wir wollten an die Jakobspilgerschaft in Mittel-
franken anknüpfen. Das Geheimnis unseres Erfolges ist,
so glaube ich, die geistliche Ausrichtung des Pilgerwe-
ges. Und damit hatten und haben wir wohl den Zeitgeist
getroffen. Mittlerweile gibt es ein ganzes Wegenetz von
Jakobswegen in Deutschland. Wir haben so zu sagen
den „Prototyp der zusammenhängenden deutschen Ja-
kobswege“ initiiert.
Auch der Fränkische Albverein ist auf ihren Pilgerweg
aufgesprungen.
Der Verein kam auf uns zu. Er hat den Weg ausgeschil-
dert, finanziert und sorgt für die Pflege. Seit 1995 ist der
fränkische Camino mit einer weißen Muschel auf blauem
Grund markiert.
Was macht das Pilgern auf dem Jakobsweg so beson-
ders?
Beim Pilgern geht man auch mal schweigend nebenein-
ander her. Es werden Stationen eingebaut, man schaut
sich Gotteshäuser an, es werden Bibeltexte gelesen, das
Laufen bekommt eine geistliche Dimension. Am Anfang
mussten wir den Leuten immer noch erklären, dass es
sich bei Wanderern mit Rucksack und Pilgerstock nicht
um Wegelagerer handelt. Heute hat sich die Pilgerschaft
in den Köpfen der Menschen verankert. Pilgern verbindet
auch.
Jetzt haben Sie mehr Zeit sich um „Ihre“ Zisterzienser zu
kümmern. Was fasziniert sie so an diesem Orden?
Die Zisterzienser haben über Jahrhunderte hinweg das
Leben in und um Heilsbronn geprägt. Ich finde es sehr
spannend zu verfolgen, welche Auswirkungen das Ge-
dankengut der Zisterzienser auf unser Leben heute noch
hat, wie zum Beispiel ihre Mystik in der Gegenwart wei-
terlebt.