Informationsbroschüre Markt Wendelstein - page 64

Freizeit und Erholung
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„Wem es vor überhaupt nichts graust und wer end-
lich einmal wissen möchte, wie viele 136gängige
Mountainbike-City-Trekking-Racing-Fahrräder ins-
gesamt in Nürnberg zugelassen sind, der muss un-
bedingt folgendes machen:
Am Sonntagmittag nach dem Schweinebraten in
den Sattel hupfen und von Gibitzenhof am alten
Ludwigskanal entlang brettern. Nach dem Rolltrep-
penprinzip befindet er sich bereits ab Königshof in
einer etwa fünfzehn Kilometer langen Radfahrer­
karawane, die sich erst am Biergarten Brückkanal in
verschiedene Vollräusche auflöst. Durch die dort
kredenzten Biere fahren auf dem Heimweg die
einen in den Kanal hinein, die anderen in den Wald
oder über die Böschung zwanzig Meter hinunter in
die wildromantische Schlucht der Staatsstraße 375
nach Allersberg, und es wird wieder ausreichend
Platz auf dem schönen Kanalweg.
Radwanderern mit einer Fahrradglocken-Allergie
ist der Sonntagsausflug ebenfalls sehr zu empfeh-
len, denn hinter einem klingelt es ungefähr alle
fünf Sekunden, so dass man das anheimelnde
Läuten noch zwei Wochen später dröhnend im
Schlaf hört. Den letzten noch verbliebenen Einsam-
keitsdeppen möchte man aber raten, dass sie sich
am Samstag früh, wenn die Morgennebel schon
den Gipfel vom Glasersberg freigeben, auf ihre alte
Hercules hinaufwälzen und in der Gartenstadt
gemächlich starten. Dort bestaunen wir das techni-
sche Wunderwerk des einzigen Trockenkanals der
Welt.
Diese wasserfreie Mulde gemahnt uns an jene
Zeiten, wo es fast einen noch besseren Fortschritt
als heutzutage gegeben und der Wunsch nach
Zuschüttung, Betonierung, Asphaltierung und
Gewinnmaximierung wunderbare Ergebnisse zu-
stande gebracht hat: wie zum Beispiel einen voll-
kommen eingestampften Ludwig-Donau-Kanal.
In Gedanken versunken an frühwinterliche Eis­
hockeyspiele mit einem Spazierstock als Schläger
und einer sandgefüllten Dosenmilchbüchse als
Puck, oder an jene eisernen Paddelboote, die man
aus amerikanischen Treibstofftanks schweißen hat
können, erreichen wir über das Gasthaus erst die
Schleuse Worzeldorf, dann die Schwabacher Auto-
bahn und Wendelstein. Dort erinnert uns der Blick
auf den Kanal unweigerlich an die italienische
Adriaküste, denn hier züchtet das Wasserwirtschaft-
samt auf einer Strecke von zwei Kilometern mit
großem Erfolg riesige Algenteppiche. Leichtere
Naturfreunde können an dieser Stelle den Kanal
ohne weiteres trockenen Fußes überqueren.
Am Kiosk Zum Treidelsweg essen wir vielleicht ein
Sardinenweckla und trinken ein Glossner-Bier, das
uns jetzt bereits auf die zuverlässig näherrückende
Oberpfalz hinweist. Auch an dieser Stelle ist der
Wandersmann angehalten, darüber nachzudenken,
was schöner ist: eine wunderbare, schnurgerade,
pflegeleichte Schnellstraße oder ein alter, runzliger
Krauterer von einem Ludwigskanal. Wir entschei-
den uns für die Runzeln und freuen uns noch zwan-
zig Jahre danach, dass aus dem dringendenWunsch
der Wendelsteiner Landgewinnler nach einer Um-
gehungsstraße im Kanalbett fast überhaupt nichts
geworden ist. Wie ist es oft segensreich, dass
jemandem das Geld ausgeht.
Über Röthenbach bei Sankt Wolfgang, Schloss
Gugelhammer und die Gauchsbachschlucht sind
wir schon am Brückkanal. Hier haben Landschafts-
architekten von hohem Rang und mit einem feinen
Gespür für Lautuntermalung eine ansehnliche
Schneise in den Wald geschlagen, so dass an unser
Ohr das Summen, Brummen, Quietschen und
Notbremsen, manchmal sogar das herrliche Deto-
nationsgeräusch eines kleinenAuffahrunfalls dringt.
Fluchtartig setzen wir unseren Weg fort.
Viele Schilder am Kanal künden uns, dass es mit
dem Beruf der Verkündungstextschreiber anschei-
nend aufwärts geht. Mit einem Schauer den ganzen
Rücken hinunter lesen wir mitten im Mai zum Bei-
spiel den lehrreichen Hinweis: „Fischzucht – Eis-
lauffläche nicht betreten!“
„Mehr hin als zurück“ von Klaus Schamberger
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