Informationsbroschüre Markt Wendelstein - page 97

Wirtschaft und Arbeit
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Arbeitsplatz ist ein wesentlicher Vorteil.
1955 wird zwar die Personenförderung auf der
Strecke zwischen Wendelstein und Feucht einge-
stellt und durch Busse ersetzt. Doch weiterhin exis-
tiert der Güter-, Express-, Stückgut- und Gepäck-
verkehr. Und was wird transportiert? Holz, Metall,
Steine, Düngemittel und natürlich bergeweise Kohle.
Anni Schreier ergänzt: „Die Wendelsteiner Brauerei
brauchte enorm viel Kohle. Die wurde dann in der
Kirchenstraße durch kleine Fensteröffnungen in der
Außenfassade hinein geschaufelt.“
Adenauer in Wendelstein
Völlig unerwartet wird das Jahr 1957 zum echten
Höhepunkt für den Bahnhofsvorsteher: Legendär
ist die Übernachtung des damaligen Bundeskanz-
lers Konrad Adenauer in Wendelstein. Der Staats-
mann hat Termine in Nürnberg. Er übernachtet
nicht etwa in der Noris, sondern sucht einen ruhi-
gen Ort, an dem er in seinem eigenen Waggon
übernachten kann. Was liegt da näher als der Wen-
delsteiner Bahnhof, wo abends alles ruhig ist? In
die Stadt lässt sich Adenauer mit seiner legendären
Pullmann-Limousine chauffieren, die in seinem
Reisezug mitfährt. Und die Wendelsteiner? Natür-
lich wollen die ihren Bundeskanzler sehen. Maximi-
lian Schreier deutet auf die Schwarz-Weiß-Aufnah-
men in seinem Album: Vor der Absperrung tum-
meln sich zahlreiche Neugierige aus der Gemeinde.
An die Kinder lässt Adenauer durch seine Sekretärin
Schokolade verteilen. Auch der damalige Schwaba-
cher Landrat Eugen Tanhauser begrüßt den Bundes-
kanzler. Karin, die kleine Tochter der Schreiers, und
ihr Cousin, der heutige Gemeinderat Norbert
Weschta, überreichen Blumen. Und weil es so heiß
ist, bespritzt die Wendelsteiner Feuerwehr den
Waggon nicht etwa mit Wasser aus dem nahe gele-
genen Kanal. Weil das Wasser nicht kühl genug ist,
wird es aufwendig aus der Schwarzach hoch
gepumpt.
Wendelsteiner Bahnhof 1960 zugesperrt
Immer wieder kommt der jung gebliebene 85 Jährige
auf das Ereignis zu sprechen. „Adenauer kam sogar
noch einmal nach Wendelstein. Aber so ein großes
Hallo wie beim ersten Mal hat es dann nicht mehr
gegeben“, erinnert er sich.
Danach verkehrt die Eisenbahn zwischen Wendel-
stein und Feucht nur noch zwei Jahre. An das Datum
an seinem letzten Arbeitstag in Wendelstein erin-
nert er sich genau: Am 31. Januar 1960 sperrt er den
Bahnhof zu. Die knapp 6 Kilometer lange Neben-
bahnstrecke ist mit der gestiegenen Mobilität nicht
mehr rentabel.
Aber wer Maximilian Schreier kennt, weiß, dass er
darüber keine Tränen vergossen hat. „Ich war ja
noch jung und wollte weiterkommen“, resümiert
er, „auf der kleinen Nebenbahnstrecke hätte ich
keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr gehabt!“
Wendelstein ist er trotzdem treu geblieben, hat er
sich in seiner Freizeit doch immer ehrenamtlich
engagiert. Vor allem als Chorleiter der Sängerriege
Wendelstein. 34 Jahre lang übte er dieses Ehrenamt
aus. Zusätzlich führte er 15 Jahre lang
den Wirtschaftsbetrieb des TSV
Wendelstein, bevor der selbst eine
Gaststätte baute. „Und überhaupt“,
verrät der rüstige Pensionist, der in
seinem Leben keinen Tag krank war,
ein Rezept zum Altwerden. „Ich
habe immer Musik gemacht, Kla-
vier, Geige und Bratsche gespielt,
erst im Bundesbahnorchester,
später beim Fürther Kammeror-
chester. Das hält jung“. Und
wenn man ihn so sieht, glaubt
man es ihm gerne.
Der Besuch
Konrad Adenauers
1957
Blick auf den
Kanalhafen und den Bahnhof
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